Das Licht ist aus, das war’s.
Ich kann mich noch nicht bewegen, nicht klatschen, denn in mir bewegt sich noch etwas, das Stille benötigt. Kurz kommt mir der Gedanke, nach Hause zu eilen um nachzusehen, ob sich in meinem Fischer Taschenbuch ein Loch befindet. Ein Loch, durch das Anne mit ihrer Familie hindurchgeschlüpft und in ein echtes Versteck, hier auf die Bühne gerannt ist. Absurd, ich weiß.
Inzwischen breitet sich in mir ein leichtes, stilles Glücksgefühl aus, dass ich immer dann verspüre, wenn ich verstanden habe – und das habe ich.
Das Autorenpaar Durlacher/de Winter hat Annes sprachliche Farbe und die im Tagebuch vorherrschende atmosphärische Temperatur behutsam und liebevoll auf die Bühne gehoben. Sie haben ein leises, wunderbares Stück geschaffen, das allerdings inszeniert sein will, es verzeiht keine Schlamperei in der Regie oder unter den Schauspielern. Genau in der Mitte von Zuviel oder Zuwenig liegt das ganze Heil dieses feinen Stückes. Und ich sehe bei allem Wissen um das Schicksal des Mädchens kein Drama im üblichen Sinne, ich sehe Anne und lerne sie kennen – wer sie war und wer sie hätte sein können.
Mit offensichtlichem Fingerspitzengefühl hat Yves Jansen sein 15köpfiges Ensemble geführt, dem ich als Familie agierend zusehe, wie Routine einkehrt im Versteck, sie sich mehr oder weniger arrangieren um des Überlebens willen. Ich spüre im Parkett, wie deren Zeit vergeht, sie sich zueinander verhalten, sich verändern, auch immer wieder komödiantische Elemente, deren Quelle unzweifelhaft Annes Sichtweise ist, das weiß ich von Kitty, ihrem Tagebuch. Die Ausstattung von Peter Schmidt lässt die ganze Inszenierung frei atmen, deren zweifelloser Erfolg eine Ensembleleistung ist. Kristin Suckow kann als Anne so wunderbar sein wie sie will – und sie ist wunderbar! – sie braucht ein starkes Ensemble, das genau weiß, was es tut. Und keine Überraschung – es kann. Ich glaube ihnen jedes Wort.
Ich klatsche, lang und anhaltend, laut soll es sein, ich rufe Bravo! wie so viele (und nicht „vereinzelt“), damit die da oben wissen, was ich ihnen sagen will:
Danke – ich habe Anne gesehen!
Und sie bleibt.
Bis zum 29. September auf der Bühne des Ernst-Deutsch-Theaters.
Für immer bei mir.
Archiv für den Monat August 2015
Heute Abend kommt sie. Anne.
Und sie bleibt bis zum 29. September.
Ich wünsche ihr das Beste.
No time to sleep – davon kann das gesamte Ernst-Deutsch-Theater wohl geschlossen ein Liedchen trällern. Erstaufführung, Foyer-Umbau, Schütter’sZWEI Neubau.
Und wo manche in die Hände gespuckt haben, spucke ich nun über die Schulter –
TOI TOI TOI.
Stay tuned.
Eure Karime.
SCHÜTTER’sZWEI oder Ekbers Sommernachtstraum
Noch 2 Tage bis zur Spielzeiteröffnung und Premiere von Anne!!
Weil ich von Natur aus neugierig bin und in letzter Zeit öfter um die Baustelle am Friedrich-Schütter-Platz streiche, wollte ich mal kucken, ob keiner kuckt und – war die letzten Tage wieder dort. Ich weiß, es sind Endproben von Anne Frank, ins Theater hineinlatschen ist nicht. Neben dem Theatereingang jedoch passieren Dinge, also nix wie hin und rein. Ekber „Eki“ Yavuz, der Wirt vom SCHÜTTER’s links des Theaters, steht nun unrasiert rechts auf einer Baustelle. Da er keine Zeit zum Plauschen hat – klar! – linse ich an ihm vorbei und folge den Stimmen, die mich über eine Treppe nach unten führen. Dort finde ich gestandene Männer namens Usta Aytekin, Adman Kara und Erhan Copur – ich bin im Klo gelandet und kann mir grad nicht vorstellen, wie das bis Donnerstag aussehen soll, heute ist Samstag. Erhan ist ganz klar in dieser Sache…….
Um dies wahr zu machen, schlafen diese Jungs kaum noch, dafür werden sie liebevoll umhegt und gelobt – von Eki persönlich, der völlig erledigt ist:
Wie im Theater so gilt auch hier, dass die Menschen, die zusammen arbeiten, sich mögen, sich vertrauen, das gefällt mir, das like ich! Diese Unermüdlichen erschaffen das SCHÜTTER’s ZWEI. Was das ist und was es hier gibt, erzählt Ekber selbst. Inzwischen hat er immer noch keine Zeit, aber Gläser und Geschirr bestellt, das geliehene Auto zurückgebracht, weil Fahrzeuge immer zur Unzeit kaputt gehen, Katastrophen abgewendet, die eine Eröffnung zur Premiere unmöglich gemacht hätten und – hat seinen Rasierer gefunden…
Ekbers Sommernachtstraum, nur diese Handwerkertruppe ist weitaus begabter…..
Kochen wird Patrizio, seit knapp 20 Jahren mit Eki befreundeter Vollprofi, die Küche ist ausschließlich spanisch im SCHÜTTER’sZWEI, passt gut, ich koche nämlich nicht.
Wir sehen uns endlich endlich! im Ernst-Deutsch-Theater zur neuen Spielzeit und in beiden SCHÜTTER’s.
Es lebe der Übermut, es lebe der Leichtsinn!
Stay tuned.
Eure Karime.
Anne Frank – das Tagebuch
Solange ich denken kann, ist es berühmt, das Tagebuch der Anne Frank. Nur ich hatte es noch nicht gelesen. Mit dem Strom schwimmen, Sonntag Nachmittag spazieren gehen, abends dann Tatort – nein, nicht meine Sache. In diese Schublade hatte ich die Aufzeichnungen des jüdischen Mädchens gesteckt, Abteilung: Hat ja jeder gelesen, also nicht interessant.
Bis jetzt.
Wäre da nicht die bevorstehende deutsche Erstaufführung des Stücks ANNE von Leon de Winter und Jessica Durlacher am Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg.
Nun wollte ich es also wissen, wollte sehen, ob etwas dran ist am nun schon 70jährigen Mythos Anne Frank und auch was.
Und nun?
Vergib’ mir, du prachtvolles Mädchen. Ja, Abbitte auf der ganzen Linie. Ja, es ist wahr, du bist etwas Besonderes. Ich kenne dich, ich sehe dich, du hast Kitty, deinem Tagebuch, deiner Freundin aus Papier und damit auch mir, alles von dir gezeigt. Denn, wie du ja schreibst, kannst du im Schreiben alles ausdrücken, was dir in gesprochenen Worten oft schwerfällt. Und wie du das kannst! Schon nach wenigen Seiten muss ich dich gern haben, du freches, temperamentvolles Mädchen, heiter und mit Riesenklappe, die du nur schlecht halten kannst, wofür du immer wieder aufs Dach kriegst. Ich fange an, in meinem Umfeld darüber zu sprechen, wie begeistert ich von dir bin, sicher, dass ich der letzte Trottel bin, der dich nun endlich liest. Aber nein – und hier kommt die große Überraschung – die meisten sind so blöd wie ich. Alle kennen dein Schicksal, kaum einer kennt dich. Vielleicht liegt es an meinen Freunden, an der Generation, die dein Tagebuch unglücklicherweise auf dem Lehrplan hatten, den viele schon aus dem Prinzip Nicht-noch-ne-traurige-Judengeschichte heraus verweigern und weil’s doch schon so lang her ist.
Hier nun schwenke ich leidenschaftlich meine Fahne und sage HALT! Lest sie, bitte lest sie, sie ist so wunderbar, so erfrischend, ihr gedanklicher Freiheitsdrang, ihre Kraft so groß und herrlich und – witzig ist sie, dieses unbändige Mädchen, in Freiheit beliebt und bewundert, in der Enge des Verstecks nun kritisiert und auf sich allein gestellt, weil sie so anders ist. Angepasstheit – Fehlanzeige. Sie will sich behaupten, will Schriftstellerin, Journalistin werden, nach Paris gehen, sie hat Träume, die sie wahr machen will; dafür ruft sie sich ständig zur Ordnung um nicht einzuknicken in der Beschränktheit ihres Alltags im Versteck, dieses kleine Kraftwerk von Mensch. Ich lese langsam, damit die etwa 300 Seiten, übersetzt von der allerallerbesten Mirjam Pressler, nicht so schnell enden. Mirjam Pressler hat auch diese erweiterte Fassung mitgestaltet, ihr liebevoller Ton begleitet den freien Sprachfluss von Anne auf das Vollkommenste. Ganz von allein stellt sich im Lauf der Lektüre die Ungeheuerlichkeit ein, mit der diesem über alle Maßen zuversichtlichen Leben kaltblütige Vernichtung entgegengesetzt wird.
Anne. Mit 13 Jahren beginnst du, mit 15 enden deine Einträge aus bekannten Gründen, du wirst deportiert und stirbst ein gutes halbes Jahr später im KZ Bergen-Belsen an Typhus. Was können wir tun, jetzt noch? Dich lesen, weil du uns an das Leben schlechthin erinnerst. Du warst ehrlich, ich will es auch sein – bleib, wie du bist, denn so bist du ganz wunderbar, ich liebe dich. Danke, du Frechdachs.
Fischer TB, 315 Seiten
ISBN 978 3 596 152773
Kauft in eurer Buchhandlung um die Ecke, meine in Hamburg ist der KiBuLa.
Spielpause – oder warten auf Anne…
Hallloooo? Wie jetzt, Theaterpause?
Spielen die nicht immer?
Nein, auch das EDT, Hamburgs größtes Privattheater, hat eine Sommerpause, wer hätte das gedacht. Plus Umbau des Foyers, plus Eröffnung des Schütters 2 gegenüber vom Schütters, plus – Moment!
Die Umbauerei wollt ich mir einmal genauer ansehen und habe mich mit Musiker und Schauspieler Daniel Schütter kurz über die Baustelle geschlichen:
Ihr habt gesehen, wir haben niemanden belästigt und waren ruck-zuck wieder weg, denn – in genau 19 Tagen kommt Anne.
Bis zur Eröffnungspremiere am 27. August muss alles in wundervollem Glanz erstrahlen, dann ist Schluss mit Schleifen, Hämmern, Sägen, Malen, Verlegen. Genau – weil sie kommt, Anne Frank.
Das Stück Anne von Leon de Winter und Jessica Durlacher in der deutschen Uraufführung beweist wieder einmal das zarte, dennoch kluge Händchen der Theaterleitung, das man deutlich oft in den letzten 20 Jahren bemerken kann. Vor nunmehr 70 Jahren endet das nicht einmal 16 Jahre währende, schriftstellerisch so begabte Leben eines lebensfrohen, jüdischen Mädchens, dessen Hinterlassenschaft hier im EDT nun die Bühne besteigt. Ich kann es kaum erwarten, habe auch schon längst meine Karte, denn es wird brechend voll werden am 27. um 19:30 Uhr am Friedrich-Schütter-Platz an der Mundsburg.
Daher verkürze ich die Wartezeit und lese nun – endlich! – „Das Tagebuch der Anne Frank“ in der Übersetzung der unvergleichlichen Mirjam Pressler, wie könnte es anders sein. Ich will es nun wissen, will auch die Transformation auf die Bretter frisch erleben, mich darauf einlassen. Wie das geht und warum das so wichtig ist, das Einlassen, dazu bald mehr, denn nun bin ich verabredet. Mit Anne.
Stay tuned….