Langweilig geht anders – plattform-Festival am EDT

Ich gehe viel ins Theater, weil ich es liebe. Allerdings geht es mir dabei weniger darum, bestehende Theater-Arten und-Formen bestätigt zu wissen, sondern ich mag mich gern überraschen lassen. Also schmiss ich mich hinein ins plattform)))-Festival zum Thema MUT, 24.-27.02.2016 am EDT am Friedrich-Schütter-Platz. Dass ich meiner Neugier den Vorrang gegeben habe vor anderen herrlichen Dingen, die ich ja auch hätte tun können, freut mich noch immer! Über Jahre fördert und erarbeitet das größte Privattheater Deutschlands diesen unglaublich wichtigen Teil Kultur der Jugendarbeit am Theater. An alle Eltern und Schüler sei gesagt, dass junge Menschen nicht nur nachweislich besser drauf sind, wenn sie ihre Seelen bei Probe und Premiere umkrempeln, sie bereichern damit zukünftig ausnahmslos jeden Bereich der Gesellschaft, indem sie je tätig werden. Sie sind lockerer, toleranter, und ja – was soll’s – auch more sexy. Klingt albern? Och nö.
Das wohl schon 6. Festival umfasste die Arbeit von 6 Jugendclubs in 10 Programmpunkten. Drei davon habe ich gesehen.

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1. Streich – Festivaleröffnung, Mittwoch, 24.02.2016 20:00 Uhr, Hauptbühne:
Nach gewohnt flüssiger Eröffnungsrede der Intendantin mit gefühlt 1001 Namen- keine Ahnung, wie sie das macht! – hieß es Bühne frei für vier Festivalgruppen, die sich mit jeder Faser ihres jungen Seins, so scheint es mir, auseinandergesetzt haben mit dem Thema Mut. Was ist das überhaupt? Wann ist Mut Mut und wann Dummheit? Bin ich das oder werd‘ ich’s nie und kann ich mutig sein auch üben oder gar lernen? Was bedeutet das erste Mal mutig gewesen zu sein für meine Zukunft? Vier Performances, so unterschiedlich wie die Jahreszeiten, die jungen Akteure zeigen sich verletzlich und wirken echt. Die fließend ineinander gehenden, von ihnen erarbeiteten Szenen schaffen mir Assoziationen zu Dingen, die mir außerhalb des Theaters, in der „wirklichen Welt“ begegnen, Tag für Tag, mir fallen Szenen aus meiner Kindheit ein, die ja schon eine Weile zurückliegt, als ich so alt war wie sie, wie dieser wilde Haufen da oben; dieser wilde Haufen, der sie gottlob geblieben sind, denn hier hat sich keiner totinszeniert – wie schön.
Wie bei allen Produktionen am Haus bei einer Vorstellung pro Stück und so auch hier bei der Eröffnung, die Begleitung des Abends durch Gebärdendolmetscher. Und wieder konnte ich mich nicht sattsehen an dieser logischen Grazie. Ich bin kurz davor, einen Kurs zu belegen, so sehr fasziniert mich die kommunikatorische Anmut. Der inklusive Jugendclub rückt als dritte Gruppe erstaunlich offen ins Rampenlicht und zurecht, was sich gesellschaftlich im Bereich der Gehörlosen scheinbar in Schieflage befindet: die Art der Wahrnehmung ihrer Persönlichkeiten im täglichen Leben unserer Gesellschaft. Ja, auch hier rattert etwas in meinem Kopf, sehr angenehm. Wenn man das will. Ja, ich will.
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2. Streich – Protest/Foucault, Donnerstag, 25.02.2016 19:00 Uhr, plattform-Bühne: 
(eine Treppe runter neben dem Bühneneingang des Theaters)
Hier war ich noch nie, was für ein Versäumnis! Hier wirkt sie also, die Gruppe Theatrales Philosophieren. Von allen 10 Performances ist diese hier die einzige, die noch zweimal aufgeführt wird, am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche, den 02.+03.03.2016 um jeweils 19:00 Uhr. Und das sollte keiner verpassen, der irgend kann. Ab in die Katakombe neben dem Bühneneingang, geht allein oder nehmt euch ein paar Freunde mit, auch wenn die sonst keine Lust auf Theater haben. Egal, das passt schon, denn: Ihr werdet’s nicht bereuen. Ich möchte kaum etwas zum Bühnenbild sagen oder zur Inszenierung, besser Kultivierung; denn was immer ich erzähle, könnte eine Vorstellung geben, könnte Euch berechnen lassen, was da passiert, und das wäre schade. Keine Sorge, kein Mitspiel-Theater erwartet euch, ich weiß, das macht richtig Angst, Huuuuuh. Obwohl DAS geht an Info: Schenkt Euch ruhig den Bio-Wein ein, der auf den gedeckten Tischen steht, esst die Oblate auf eurem Teller, denn ihr seid Gäste. Gäste, die eingeladen sind zu vielleicht einer Hochzeit, Trauerfeier, einem Geburtstag oder Schulabschluss. Und bleibt auch zum Gespräch am Ende, es wurden lauter Fragen gestellt und die jungen PhilAkteure gehen in Kontakt und in die Fragen hinein, das war angenehm. Traut euch, denn das ist auch euer Festival zum Thema Mut. Ich habe den Mut und die Ehrlichkeit bewundert und genossen, die ich dort sah, es hat Freude gemacht und  lauter wilde, gute Gedanken. Und Foucault? Ging mir bis dahin am Allerwertesten vorbei. Jetzt will ich ihn lesen, unbedingt.
Also, nochmal: 02.+03.03.2016 um jeweils 19:00 Uhr plattform-Bühne!
Und am 20.-22.03.2016 Protest/Foucault/Luther In der Kulturkirche Altona St. Johannis.
Da geh‘ ich auf jeden Fall hin! Hoffentlich finde ich danach nicht, dass ich die Bibel lesen muss….
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3. Streich – Die Räuber/Jugendgroßprojekt frei nach Schiller, Samstag, 27.02.2016 19:00 Uhr, Hauptbühne
Vorletzter Festival-Akt, bevor die Karaoke-Party im Foyer gezündet wird. Ich bin ein bisschen spät wegen riskanten Parkens und eile am Bühneneingang des Theaters vorbei, wo eine Gruppe Weißgekleideter auf dem Gehweg im Kreis ihre Energie einen, als eine Kollegin wohl
, weil auch in weiß, aus einem Fenster ins Dunkel der Straße grölt: „Sein letzter Seufzer war Amalia!“ Wieder und wieder, klar, die Räuber. Wie ein Rennpferd in der Startbox hängt sie im Fensterrahmen und wiederholt kraftvoll, dramatisch und gutgelaunt, was ich mit Sicherheit noch öfter hören werde an diesem Abend. Mal sehen, was wird. Und es wird – unerwartet, bunt und ja – mutig. Die am Bühneneingang bereits sichtbare Spielfreude setzt sich weiter fort im Rampenlicht und ich habe den Eindruck, der professionelle Rahmen, den das Theater gewährleistet, Licht- und Bühnentechnik, Kostüm, Maske und die vielen Menschen im ausverkauften Haus berauschen sie alle. Sie machen keinen Rückzieher. Franz und Karl Moor, Amalia, sie treten gruppenweise auf: Fünf Amalias, von Jungen gespielt, die gegensätzlichen Brüder von jeweils mehreren (5?) Mädchen, wobei die Karls wertvoll in weiß mit Gold, die Franzen in Schwarz mit verruchtem Flair gewandet sind. Die Maske mutet an Kabuki-Theater an, weißlich mit dunkel ausgepuderten Augenwinkeln und starken Augenbrauen.  Ausgewählte, schlüsselhafte Szenen aus Schillers Riesenhit sind hier glaubhaft in junge Glieder gefahren. Viele Texte werden im Chor gesprochen, was viel Kraft freisetzt, allerdings auch den detaillierten und differenzierten Ausdruck der jeweiligen Figur erschwert. Ich kenne das Stück gut, daher stört mich das Fehlen mancher Facette nicht, ist dies doch eine Auseinandersetzung frei nach Schiller. Ohne Welpenbonus für Jugendtheater wünschte ich der Inszenierung darüber hinaus mehr Aufmerksamkeit und Raum für den Vater der Brüder, der meiner Meinung nach als Figur etwas zu kurz kommt. Noch ein sprachlicher Punkt, dann bin ich wieder glücklich, ist „Ärde“ statt „Erde“, „wärde“ statt „werde“. Fällt wahrscheinlich kaum jemandem auf und sollte auch nicht ablenken von dem Gesamteindruck, der – im Wechsel mit vier andersartig darstellenden Gruppen – Tanz, Performance, Bildende Kunst, Musik – einen überaus inspirierenden Abend geschmettert haben. Und diese überbordende Kraft und Spiellust, dieses Jetzt-oder-nie-Gefühl dieser Masse an jungen Menschen auf einer Bühne, die sie nicht jeden Tag betreten und wer weiß, wann wieder ausverkauft, trägt seinen euphorischen Teil dazu bei, so lange zu klatschen, bis die glühenden, glücklichen Gesichter sich wieder und wieder zeigen, denn sie wissen – ich sehe es – sie haben ihre Sache gut gemacht. Mut bewiesen. Das kann ihnen keiner mehr nehmen. Amen.

Stay tuned, eure Karime.

Ein Gedanke zu “Langweilig geht anders – plattform-Festival am EDT

  1. Danke für Deine wunderbaren Kommentare zum „Plattform Festival“ im EDT.
    Mitreißend !!!Weiter soooo. Bitte nicht aufhören.
    Elisabeth v. C.

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