Mein Tag der Deutschen Einheit – MALALAI

16 Jugendliche, 14 Jungen und zwei Mädchen. Sie sind zwischen 3 und 9 Monaten bereits in Hamburg – unbegleitet. Sie sind in Einrichtungen untergebracht, lernen Deutsch. Manche warten auf ihre Familien, andere nicht.
Sie kommen aus Afghanistan.
4 Erwachsene gründen 2011 Parallelaktion, um spartenübergreifend Kunstprojekte auf die Beine zu stellen, die so im handelsüblichen Kulturbetrieb nicht stattfinden: Albert Lang (Professur TU Berlin), Nicolas Wackerbarth (Regisseur, Autor, Schauspieler), Sören Canenbley (Schauspieler, Medizinstudent) und Isabella Vertes-Schütter (Intendantin, Schauspielerin, Politikerin).
Und – Malalai, die vor etwa 35 Jahren von Kabul über Pakistan in Ostberlin landete, heute einen Bioladen am Prenzlauer Berg betreibt. Ihre Geschichte wird hier erzählt, in der Hochschule für bildende Künste am Lerchenfeld um 17:00 Uhr, welche die Aula, Tische und Stühle zur Verfügung stellt für die Produktion MALALAI – ein afghanisches Gemeindefest. Ehrlich? Keine Ahnung, was auf mich zukommt. Es wird nur diese eine Veranstaltung geben, deren veranstalterische Form leicht und locker scheint, was sofort erkennbar wird, als ich den Saal betrete. Hohe Wände, im oberen Teil Jugendstilgemälde ringsum, zwei Bühnen, an jedem Ende des Saales eine, die zwecks Filmprojektion jeweils mit Leinen verhängt werden können. Dazwischen festlich gedeckte Tische für etwa 200 Gäste, ein langes Buffet mit afghanischen Spezialitäten, von Malalai gekocht und von Gästen mitgebracht, der unverkennbar köstliche Reisduft verrät es sofort. Aber ich habe keinen Hunger, bin nur noch neugierig, denn der Saal füllt sich schnell und ist ruckzuck brechend voll, es wird warm und ich bin nicht mehr länger in Hamburg, sondern ohne Lösen einer Fahrkarte mitten im Orient gelandet. Lautes Stimmengewirr verschiedener Sprachen, die ich sämtlich nicht beherrsche, Orient halt, klar.
Es geht los. Nun wird im Wechsel auf beiden Bühnen in unterschiedlichen, sich immer wieder abwechselnden Kunst – und Darstellungsformen sehr bildhaft die Geschichte von Malalais Weg nach Deutschland erzählt. Shahed Naji aus dem Libanon und Dragan Denda aus Sarajevo (beide Absolventen Masterstudiengang Bühnenbild Szenischer_Raum) haben mit den Mädchen und Jungen eine Art Legetrick mit Lesung erarbeitet, die live abgefilmt und auf die Leinwand der Bühne gegenüber projiziert wird. Warm und stark fächert sich Malalais Geschichte vor uns auf.
Immer wieder eingerahmt von musikalischen Einlagen, nein – kleinen, wundervollen Konzerten der Jugendlichen im Alter von 13 bis 16 Jahren, zieht mich der Charme dieser immer stärker werdenden Energie in seinen Bann. Die Bühnen mit Teppich und Sitzkissen muten wie orientalische Picknickpodeste an (Danke EDT), die Jungs sitzen im Halbkreis, einer singt und spielt Hammonium, ein anderer trommelt, die übrigen unterstützen klatschend und singen leise mit. Längst ist mir klar, hier schlummert Talent. Einer der Höhepunkte sind die Klappmaulpuppen, jede ein orientalisches Charakteristikum, deren Bau und Spiel Peter Räcker und Wolfgang Buresch mit den jungen Afghanen/innen hergestellt und geprobt haben. Die Episoden werden im Stehen mit viel Mutterwitz gespielt, den man sogar ohne Sprachkenntnis fast verstehen kann. 2Mädchen2PuppenWieder Musik, Gesang, Tanz, ein Film, diesmal mit deutschen Untertiteln, in dem die Youngster afghanisch/iranische Spezialitäten kochen. Wieder Musik, sie wird mir vertraut; immer mehr Tanz. Ein Lied muss ein Hit sein, denn der Saal tobt, die Tänzer legen noch eine Schippe drauf und unsere Herzen gehören ihnen. Sehr fein und pur ist ein Video: wir sehen Malalai selbst mit einer Kamera; sie möchte diese kraftvolle, begabte Bande nicht vergessen. Jeder sitzt abwechselnd auf einem Hocker, sagt Name, Herkunft, Alter. Malalai bittet sie Deutsch zu lernen, damit sie schnell im deutschen Bildungssystem Fuß fassen, Abitur machen und studieren können. Das wünscht sie sich von ganzem Herzen. Scheu legen die 16 das Versprechen ab. Ja, Malalai soll stolz auf sie sein. Sie weiß, mit Volljährigkeit wird es kritisch, wenn das Deutsch nicht sitzt. Bei diesen Wirbelwinden allerdings habe ich keine Sorge. Manche sind nach nur drei Monaten sprachlich so fit, dass sofort der Wunsch entsteht, ihnen den Weg frei zu machen. Inzwischen doch am Buffet gelandet, drückt mir die Intendantin vom EDT eine Linsensuppe in die Hand – die Chefin selbst steht den ganzen Abend hinter einem Riesentopf und schenkt aus. Sie hat hier Flagge gezeigt und ist mit einer Riege vom Theater angerückt: Regieassistentin Luise Peters und Veranstaltungstechniker Ole Jahncke haben einen reibungslosen technischen Ablauf hingelegt und waren so glücklich wie wohl alle, die hier schwitzen durften.
Nach knapp 2 ½ Stunden klingt dieses Kraftwerk aus, genauer gesagt, die Vorstellung ist vorbei, aber das Fest ist nicht aus, kaum einer will hier schon gehen und ich bin ein bisschen afghanisch besoffen. Besoffen von der geballten Lebenskraft, dieser geradezu beglückenden Ausstrahlung, die von den 16 Energiebündeln immer wieder von beiden Bühnen ins Publikum geströmt ist. Und während der Saal sich langsam leert, bildet der harte Kern klatschend einen Kreis, die Musik kommt nur noch vom Band. In der Mitte, mit Malalais smaragdgrünem Tuch geschmückt, bewegt der/die jeweilig Tanzende, genüsslich angefeuert, die Arme schweben schlangenartig elegant in der Luft, der ganze Körper Rhythmus. Das haben sie im Blut, ohne Zweifel, wie diese jungen Männer tanzen!
Ich sehe sie an, alle, jeden einzelnen.
Sie sind hier heute nicht angetreten, um auf sich aufmerksam zu machen als junge afghanische Flüchtlinge. Sie haben gearbeitet, geprobt, an vielen Nachmittagen bis spät in den Abend, um an diesem 3. Oktober zu zeigen, was und wo jetzt ihre Koordinaten sind, ihre Anknüpfungspunkte in diesem neuen Land – das sagt mir Sören. Und wahrlich, das haben sie getan. Durch die Art des Erzählens der Geschichte von Malalai haben sie sich gezeigt.
Ihre Kraft nach vorn war nicht zu übersehen, von ihrem Charme, ihrer offensichtlichen Intelligenz ganz zu schweigen.
16 junge Menschen, die auch glücklich sind. Wir haben es gesehen. Und jetzt ab in die Falle, ihr wart echt ‘ne Nummer!Combo_Afghan
Und wir? Haben etwas gelernt. Und danken euch:
Ahmed Seyar, Ali Reza, Edris, Ehsan, Elyas, Farshad,, Hares, Mojtaba, Narges, Nilab, Omid, Ramin, Sahar, Sahel, Sanam, Schahabedin und dir, Malalai.

Soviel zum Tag der Deutschen Einheit. Und was habt ihr so gemacht?
Stay tuned,
Eure Karime