Schon peinlich, ich war noch nie auf einem Geigenkonzert. Wenn man sich als kulturell interessiert einstuft, was ich tue, braucht man da schon Mut zur Lücke, auch wenn sie üppig ist.
Nun war ich; und das ist noch nicht einmal auf meinem Mist gewachsen, auch eigentlich – ach, lassen wir das.
Vor zwei Wochen also rief mich meine wundervolle Freundin an, Konzert am 22.06.2015 in der Laeiszhalle, Anne-Sophie Mutter spielt, kommst du mit? Ja, die wollte ich doch schon immer mal live erleben.
Wenn ich meinen Allerwertesten hochgekriegt hätte, wäre das auch längst geschehen, an Gelegenheiten mangelte es nicht, schließlich konzertiert Frau Mutter seit einer gut 40-jährigen Ewigkeit mit ihrer Stradivari an der Weltspitze rund um den Globus. Schluss mit Selbstvorwürfen, statt dessen werfe ich mich in Schale.
Da sitze ich nun. Sie schwebt mit ihrem langjährigen musikalischen Partner Lambert Orkis auf die Bühne, die Stradivari am ausgestreckten Arm schwebt auch. Ihr Kleid zwischen königs- und himmelblau, schulterfrei, knalleng mit einer Kaskade von Stoff, die Knie abwärts erleichtert aufspringt. Mit mehr Klarheit kann man eine Bühne nicht betreten und wenn das Wort DIVA nicht einen so zickigen Beigeschmack hätte, möchte ich jetzt sagen:
Da kommt eine bescheidene Diva, die weiß, was sie kann. Na bitte, geht doch.
Es folgt etwas, womit ich nicht gerechnet hatte:
Sie ist nicht gut. Sie ist nicht virtuos. Sie ist – einfach göttlich.
Ihre ganze Anmut, ihre Wohlgestalt tritt demütig zurück und verdichtet sich statt dessen mit ihrem Spiel zu einer sonderbaren Energie, die ungeheuer gewaltig, zugleich jedoch von einer unvorstellbaren Zartheit ist, die federleicht tief in mich eindringt und dort mein Herz umfängt und ganz innig und sanft drückt. Das öffnet meine ganze Wahrnehmung, all meine Sinne – keine Ahnung, WAS sie da spielt (schlimm, ich weiß, kulturbegeistert und so) – ich bin verliebt bis über beide Ohren, verliebt in diese überirdische Sphäre, die alles äußerlich Schöne hinter sich zurücklässt und befreit.
Mein Gott, was habe ich bloß all die Jahre gemacht, wie konnte ich ohne diesen leidenschaftlichen Musenkuss überhaupt leben?
Ich bin selig über die reichlichen Zugaben, obwohl sich ständig die Saaltüren öffnen, weil mancher offenbar den Stau im Parkhaus fürchtet. Echt? Ja. Ich lasse sie friedlich ziehen, weil Glückliche friedlich ziehen lassen können.
Promillefrei komplett besoffen falle ich viel später erst ins Bett, denn wie kann man nach einem Wunder schon einfach einschlafen.
Eine Frage noch beschäftigt mich: Hätte ich dies auch als versierter Geigenkonzertbesucher so erlebt? Ich halte es für möglich, sicher bin ich nicht, dafür aber versöhnt mit dem Banausen in mir. Ja, der Himmel hängt voller Geigen – und nun weiß ich auch, warum.
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Glücklich sein – dafür braucht’s kein Wissen